Türöffner Bildung

Projektbericht Monika Girls High School und College
in Datuchi / Bagrot Tal

Bildung ist ein Türöffner. Sie ermöglicht einen Blick auf die weitere Welt, auf neues Wissen und Möglichkeiten, als es die Tradition im Bagrot Tal vermag. Das gilt generell für Bildung, auch bei uns. Die Möglichkeiten, die daraus erwachsen können, sind abhängig vom Umfeld. Da sind wir in Deutschland in einer wesentlich besseren Position als die jungen Menschen in Pakistan. Einem Land, das für junge Menschen weniger Freiheiten und reale Mög­lich­keiten bietet aufgrund der wirtschaftlichen Situation und des Bevölkerungs­wachstums. Nach einem aktuellen Bericht sind 120 von ca. 200 Millionen Einwohnern heute unter 25 Jahre alt. Die Hälfte hat keine Schulbildung und viele nur eine geringe - weil sie frühzeitig die Schule verlassen aufgrund wirtschaftlicher Zwänge. Ohne oder mit einem kleinen Haushaltseinkommen wird das wirtschaftliche Überleben mithilfe der Kinder gesichert.

Im Bagrot Tal ist die Lage vergleichsweise positiv. Die Mehrzahl der Haushalte besitzt eigenes Land für die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Kartoffeln, Gemüse, Obst und Nüsse. Bei Fleisch, Milch und Butter wird es schon knapp. Viele Familien haben bescheidene Geldeinnahmen durch eine Person mit Lohneinkommen, häufig aus dem Armeedienst. Das ist keine komfortable Situation. Für die meisten Familien reicht es gerade für ein bescheidenes Leben.

Schulbildung wird als Chance bewertet, als Türöffner für alle Kinder. Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation ist ungebrochen, das erlebe ich seit bald 30 Jahren. Man investiert in eine ungewisse Zukunft.

In Jahr 2018 musste unser Besuch im Bagrot Tal leider ausfallen. Die Verantwortlichen vor Ort schickten regelmäßig aktuelle Infos und Fotos. Mitte Dezember, zur Zeit der Winterferien in Bagrot, sind wir einige Tage in Islamabad gewesen und haben uns dort mit Projekt­verantwortlichen aus Bagrot über die schulischen Angelegenheiten beraten. Während unseres Besuchs hatten wir auch Gelegenheit, mit einem führenden Abgeordneten der Provinz über die Zukunft der Schule und der Collegeklassen zu sprechen. Ihm ist das Projekt wohlbekannt und er versprach, sich für den weiteren Ausbau der Mädchenschule einzusetzen. Er dankte ausdrücklich allen Unterstützer*innen, die sich in Deutschland für die Mädchen in Bagrot einsetzen.

Die aus Spenden finanzierten Collegeklassen und die staatliche Mädchenschule laufen weitgehend reibungslos. Das bestätigen mir die Projekt­verantwortlichen und die Lehr­kräfte. Während der Sommerferien wurden in einem weit entfernten Tal mehrere Schulgebäude in Brand gesetzt. Dies hatte in der gesamten Provinz für helle Aufregung gesorgt und die Regierung entsendete umgehend einen Wachmann an jede Schule zum Schutz. Diese Situation ist hier kaum vorstellbar. Sehr positiv bewerte ich, dass der Unterricht ohne Einschränkungen weitergeführt wurde auf Drängen der Eltern, Schüler*innen und Lehrkräfte. Schulbildung wird hoch geschätzt, trotz einer latenten Un­sicher­heit in der Region.

Mit dem Schulbesuch lernen Kinder in Bagrot erstmals die Amtssprachen des Landes, Urdu und Englisch. Damit verbunden ist gleichzeitig das Lernen des arabischen und des lateinischen Alphabets. Kein leichter Einstieg.

Einen Schreibtisch kennt man in den Haushalten in Bagrot nicht, auch keine Tische und Stühle. Kinder haben kein eigenes Zimmer. Sie spielen und machen Hausaufgaben wo gerade Platz ist im Wohnraum, der in der Regel Küche und Wohnzimmer kombiniert und häufig nachts auch Schlafraum ist.

Monika Girls High School und College

Unser Bildungsprojekt für Mädchen läuft jetzt im 26. Jahr. Diesen Erfolg verdanken wir den vielen Unterstützer*innen. Die Schule wird inzwischen weitgehend vom Staat versorgt. Die Lehrkräfte für die Collegeklassen werden aus privaten Spenden finanziert.

Die Mädchenschulklassen (1. – 10. Schuljahr)

220 Schülerinnen besuchen die 1. – 10. Klasse. Alle Klassen werden von staatlichen Lehrkräften unterrichtet. Zusätzlich unterrichten zwei natur­wissen­schaftliche Fachlehrer, die aus Spenden finanziert werden. Die bisher an die Mädchenschule versetzten staatlichen Lehrkräfte sind für den naturwissen­schaftlichen Unterricht nicht ausge­bildet. Eltern und Schülerinnen der Klassen 9 und 10 sind sehr dankbar für die Unterstützung durch die beiden Fach­lehrer. Für die Schülerinnen geht es um die erfolgreiche Vorbereitung auf die Abschluss­prüfung.

Die Collegeklassen (11. – 14. Schuljahr bzw. 1. – 4. Collegejahr)

93 Studentinnen studieren heute in verschiedenen Collegeklassen: davon 22 im ersten Collegejahr, 32 im zweiten, 21 im dritten und 18 im vierten Collegejahr.

Der Unterricht findet nachmittags in den Räumen der Mädchenschule in Datuchi statt.

11 aus Spenden finanzierte Lehrkräfte unterrichten die Collegestudentinnen. Die wichtigsten Unterrichtsfächer sind: Urdu, Englisch, Soziologie, Pädagogik, Landeskunde, Wirtschaft. Ein Lehrer ist gleichzeitig mit organisatorischen Aufgaben beauftragt, unterstützt von einer Assistentin für die persönlichen Fragen der jungen Frauen.

Das noch neue mathematisch-naturwissen­schaftliche Unterrichts­angebot wird bisher nicht so gut angenommen wie erwartet. Ein Grund sind Hürden bei der Zulassung als externe Studentinnen zu den jährlichen Prüfungen an einem staatlich anerkannten College in Gilgit. Eine Erklärung dafür steht noch aus. Für die Studentinnen der humanwissen­schaftlichen Fachrichtung besteht dieses Problem nicht. Sie werden regelmäßig als Externe zur Abschlussprüfung zugelassen.

22 von 26 Studentinnen des 1. und 2. Collegejahres haben im Sommer das Examen bestanden. Ein gutes Ergebnis angesichts der schwierigen Lernumstände abseits gut ausgestatteter Räumlichkeiten und ohne ein ungestörtes Lernumfeld wie es zum Beispiel ein Wohnheim für Studentinnen bietet oder die Lebens­situation der meisten Studentinnen hier.

Im Mai 2017 hat der Bildungsminister der Provinz den Ausbau der staatlichen Girls High School bis zur 12. Klasse (1. und 2. Collegejahr) genehmigt. Die Umsetzung einer ministeriellen Anordnung durch die zuständige Behörde, d.h. die Entsendung ent­sprechend qualifizierter Lehrkräfte benötigt in der Regel mehrere Jahre. Da ist Geduld und auch politisches Handeln gefragt, wie unser Gespräch mit dem Abgeordneten des Provinz­parlaments im Dezember 2018 in Islamabad zeigte.

Gemeinsam mit den Collegelehrkräften wollen wir zukünftig politische Bildung in Form von Besuchen bei Abgeord-neten anregen. Sich selbst Gehör zu verschaffen und zu lernen, Bürger­rechte wahrzunehmen, sind das Ziel.

Winterferien im Hochgebirge

Am 11. Dezember haben in der Hochgebirgsprovinz Gilgit-Baltistan die siebenwöchigen Schulferien begonnen. Dann ist es zu kalt, um sich in den weitgehend unbeheizten Schulräumen aufzuhalten. Die in Bagrot typischen, kleinen Bolleröfen reichen bei weitem nicht aus, um ein Klassenzimmer zu wärmen.

Türöffner Bildung

Nachdem ich im vergangenen Jahr einen Rückblick auf unser Bildungsprojekt über 25 Jahre beschrieben habe, möchte ich heute einige Beispiele schildern. Die Mehrzahl der ersten Absolventinnen der Mädchenschule sind an staatlichen Grundschulen in den Dörfern Bagrots und in Gilgit beschäftigt. Ein typisches Berufsfeld für schulgebildete Frauen in ländlichen Regionen Pakistans, viele Studentinnen aus Bagrot arbeiten heute ebenfalls auf einen Abschluss für das Lehramt hin.

Eine junge Frau hat einen Masterabschluss in Chemie und unterrichtet heute an der Girls High School. Wir würden sie gerne für einige Unterrichtsstunden in den Collegeklassen am Nachmittag gewinnen. Da sie kleine Kinder hat, kann sie dies noch nicht leisten, auch wenn ihr das Zusatzeinkommen sehr gelegen käme.

Eine junge Mutter arbeitet als Polizistin in Gilgit. Sie tut Dienst am Registrierungsschalter des Flughafens. Dort haben wir sie im vergangenen Jahr ganz überraschend bei der Einreise getroffen. Sie hat uns strahlend und selbstbewusst empfangen und an ihre Schuljahre in der Mädchenschule erinnert. Ohne diesen Hinweis hätte ich sie nicht wiedererkannt.

Eine andere junge Frau hat eine Krankenpflegeausbildung abgeschlossen und lange um eine Anstellung gekämpft. Nachdem sie die Scheidung ihrer bereits früh arrangierten Ehe durchgesetzt hat, arbeitet sie heute in einer großen Arztpraxis außerhalb des Bagrot Tals als Praxisassistentin.

Eine junge Frau hat den Führerschein gemacht, sie transportiert Gemüse und Obst in die Geschäfte in Gilgit. Ich warte sehnsüchtig auf das erste Frauentaxi in Bagrot. Mangels öffentlichem Nahverkehr sind Frauen auf die wenigen Plätze in überladenen Privatjeeps angewiesen für Fahrten aus Bagrot in die Stadt.

Aqila (35) hat vor einigen Jahren mit dem Verkauf von Frauenbekleidung und Schulbedarf aus ihrem Wohnraum begonnen. Im vergangenen Jahr hat sie ein Ladenlokal neben dem Lebensmittelgeschäft ihres Mannes ausbauen lassen.

Nabila, die junge gehörlose Frau in Bagrot, unterrichtet seit einigen Jahren taubstumme Kinder in der offiziellen Gebärdensprache und den üblichen Schulfächern. Sie selbst hat eine Förderschule in Karachi besucht. Ihr Vater war dort viele Jahre stationiert.

Naima (26) studiert Englisch und Pädagogik im letzten Semester an der noch jungen Universität in Gilgit. Sie ist sehr ambitioniert und plant ein Aufbaustudium in Karachi. Ihr Ehemann arbeitet und lebt dort. Von ihrer Familie und ihrem Ehemann erfährt sie volle Unterstützung für ihre Pläne. Wir sind gespannt, wie es weitergeht nach der Geburt des zweiten Kindes im kommenden Sommer.

Inzwischen studieren einige junge Frauen aus Bagrot fern der Heimat in Islamabad und Karachi und leben während des Semesters in einem Wohnheim für Studentinnen. Das können sich nur wenige Familien leisten. Und ohne die schulische Ausbildung in Bagrot und einen guten Abschluss wäre das Studium nicht denkbar.

Fragt man die Collegestudentinnen in Bagrot nach ihren Berufswünschen, ist das Lehramt ein ständiges Thema. Damit lassen sich Beruf und Familie vereinbaren und ein regelmäßiges Einkommen sichern. Einzelne streben ein Medizinstudium oder eine naturwissenschaftliche Ausbildung an, hier sind die Zulassungshürden hoch und Ausbildungsmöglichkeiten bestehen nur fern der heimatlichen Region. Offenkundig wird: Die Mädchen und jungen Frauen haben eigene Pläne, ungeachtet der Tatsache, dass viele von ihnen bereits verheiratet sind. Schul- und Collegebildung bieten reale Chancen und Möglichkeiten, die pragmatisch abgewogen und genutzt werden.

Projektkosten

Im Kalenderjahr 2018 hat das Forum Kinder in Not e.V. insgesamt 15.000 EUR für die aus Spenden finanzierten Lehrkräfte überwiesen. Wir sind sehr dankbar für diese unver­zichtbare Unterstützung. Dafür gibt es weitere gute Beispiele, die vielleicht zur Nachahmung anregen:

5. Lesemarathon an der Ursulinenrealschule Köln: 90 Schüler*innen aus den Klassen 5 - 7 haben sich beteiligt und die stolze Summe von 3550 Euro erlesen. Hut ab! Unser Dank gilt auch der Initiatorin und Lehrerin Elisabeth Lammering, die diese Aktion bereits zum 5. Mal durchgeführt hat.
Von Schüler*innen für Schülerinnen: Die Schüler*innen und Lehrkräfte der Berufs­bildenden Schule der Heinrich-Haus gGmbH in Neuwied unterstützten uns wieder tat­kräftig mit ihren Spendenaktionen.
Spenden statt Blumen und Geschenke: Verwandte, Freunde und liebe Nachbarn im Veedel haben runde Geburtstage und eine Goldene sowie eine Grüne Hochzeit zum Anlass für die Unterstützung der guten Sache genommen.
Nähen für den guten Zweck: Eine Freundin näht in ihrer Freizeit mit großem Engagement. Den Gewinn aus dem Verkauf spendet sie für das Schulprojekt. In 2018 hat sie wieder viele viele Köln-Schlüsselbänder und individuell gestaltete Leseknochen unter die Köpfe der Leute gebracht.
Spende statt Honorar: 3 Frauen sind regelmäßig mit einer Yogalehrerin auf der Matte, die sie das Honorar spenden lässt.
Einige Dauerspender*innen, langjährige Unterstützer*innen und die Mitglieder des Forum Kinder in Not e.V. tragen maßgeblich zum Fortbestand der Schule bei. Für ihr Vertrauen und die Treue bin ich sehr dankbar.

Ihre und eure Spenden fließen zu 100% an das Bildungsprojekt. Ich danke allen Unterstützerinnen und Unterstützern für ihren Einsatz für die gute Sache.

Ein vielstimmiges Dankeschön und unzählige Grüße an die weitgehend unbekannten deutschen Förderer lassen die Schülerinnen und Studentinnen, Eltern und Lehrkräfte im Bagrot Tal ausrichten.

Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg!

Ihre und eure Monika Schneid
im Januar 2019

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