Projektbesuch im Bagrot Tal im Oktober 2015

Monika Schneid berichtet von Ihrem Besuch im Bagrot Tal im diesem Jahr:

Sehnsuchtsort Schule

Unser Besuch im Bagrot Tal im Oktober verlief auch in diesem Jahr ungestört. Der landwirtschaftlich geprägte Alltag ging seinen gewohnten Gang, abseits der unruhigen Verhältnisse in der 20 km entfernten Provinzhauptstadt Gilgit und im gesamten Land. Sicherheit ist im Bagrot Tal bis heute kein Problem.

Endlich war es auch vorbei mit der kümmerlichen Stromversorgung. Das neue Wasserkraftwerk im Dorf Hope war wieder in Betrieb nachdem eine Schlamm- und Steinlawine die Anlage gleich für einige Wochen lahmgelegt hatte. Auch das Mobilfunknetz im Tal funktionierte diesmal ohne Unterbrechungen.

Zum ersten Mal trafen wir eine Autofahrerin auf der Hauptstraße des Tals, die eine reine Sand- und Schotterpiste ist. Die junge Einheimische transportiert mit ihrem Mann täglich Gemüse und Obst in einem kleinen Lieferwagen nach Gilgit zum Verkauf. Autofahren ist heute ein Wunsch vieler Frauen. Sie durfte ihn wahr machen und verdient damit gleichzeitig Geld. Das wird Nachahmerinnen finden. Ich habe einen Taxiservice für Frauen angeregt.

Das Erdbeben am 26. Oktober hatte glücklicherweise keine dramatischen Auswirkungen auf das Bagrot Tal, wie uns unsere Freunde berichtet haben. Und wir waren eine Woche zuvor nach Deutschland zurückgekehrt.

Am 10. Oktober wurde erstmals ein Tag der offenen Tür für die Mütter veranstaltet. Es war ein besonderes Ereignis für die großen und kleinen Schülerinnen der Mädchenschule. Alle hatten ihren großen Auftritt in der Aula. Und es war eine Freude zu erleben, wie selbstbewusst sie Reden hielten und Gedichte vortrugen, Sketche vorführten, die das Leben in Bagrot gestern und heute gehörig aufs Korn nahmen, Witze erzählten und immer wieder mit viel Verve sangen.

Zu Beginn der Veranstaltung durfte ich die pakistanische Flagge hissen. Ein Flaggenmast gehört zur Grundausstattung jeder High School und war gerade noch rechtzeitig errichtet worden. Im Anschluss an die Veranstaltung nahm das Singen beinahe kein Ende, alle Schülerinnen blieben in der Aula. Die Mädchen haben selten Gelegenheit zum Singen. Musik und Musizieren sind traditionell nicht gut angesehen und wird an den Schulen nicht gelehrt. In den letzten Jahren hörte ich Mädchen bei Schulveranstaltungen jedoch häufiger singen. Gegen hunderte eifriger Schülerinnen kommen selbst die hartnäckigsten Lehrer und alten Männer nicht an.

Monika Girls High School und College

Gute Nachrichten: Die Schulbehörde hat in Aussicht gestellt, 11 Lehrerstellen für den High School Bereich auszuschreiben. Wenn dieser Ankündigung Taten folgen, könnten die neuen staatlichen Lehrkräfte bereits im Sommer 2016 ihre Arbeit aufnehmen und die High School wäre nach mehr als zwei Jahrzehnten vollständig in staatlicher Hand. Dann könnten wir uns auf den Collegeunterricht konzentrieren. Dort gibt es genug zu tun. Auf den liebevollen Zusatz Monika im Namen der Schule verzichten wir unter diesen Umständen gern.

Die Schülerinnen und Studentinnen

222 Schülerinnen besuchen heute die 10 Klassen der High School und 50 Studentinnen die vier Collegeklassen (11.-14. Klasse). Die Zahl der Studentinnen steigt erfahrungsgemäß in den ersten Monaten des neuen Schuljahres noch an.
Die 9. und die 10. Klasse sind wieder relativ groß, die Schülerinnen kommen aus allen Dörfern des Tals. Die privat finanzierten Lehrkräfte der beiden High School Klassen wurden wiederholt für ihre guten Leistungen gelobt. Insgesamt sinkt die Zahl der Schülerinnen und Schüler an allen Schulen im Bagrot Tal kontinuierlich. In vielen Familien ist die Geburtenrate seit einigen Jahren niedriger als früher. Und zunehmend mehr Familien verlassen das Tal und lassen sich in der Nähe der Stadt Gilgit nieder. Hier gibt es Arbeit außerhalb der Landwirtschaft und vielfältige Ausbildungsangebote für die Kinder. Die kosten Geld, das die abgewanderten Familien mit dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte und einer Erwerbsarbeit heute verdienen können.

Die Ergebnisse der Jahresexamen der meisten Klassen waren zufriedenstellend bis gut. Die Ergebnisse der Prüfungen in der 8. Klasse weniger. Nach Aussagen der Eltern sind einige Lehrer/-innen im staatlichen Schuldienst nicht ausreichend qualifiziert oder bleiben dem Unterricht häufig fern, ohne Sanktionen zu erfahren. Wir werden in den Winterferien im Januar erneut Förderunterricht in allen naturwissenschaftlichen Fächern anbieten auf vielfachen Wunsch der Schülerinnen.
Die Ergebnisse der Jahresexamen der College-Studentinnen lagen über dem Durchschnitt in der Provinz Gilgit-Baltistan, zu der das Bagrot Tal gehört.

Insgesamt schneiden die Schülerinnen in Bagrot seit Jahren im Durchschnitt besser ab als die Jungen. Sie sind offensichtlich wissbegieriger und fleißiger. Das berichteten uns Lehrkräfte und Eltern. Der Schulbesuch bedeutet für viele Mädchen, insbesondere die älteren immer noch einen Luxus neben den vielfältigen Aufgaben im Haushalt und in der Landwirtschaft, den sie genießen und so lange wie möglich ausdehnen möchten. Das berichteten mir auch viele Studentinnen. Dazu bedarf es entsprechender Angebote vor Ort. Bildungseinrichtungen außerhalb des Bagrot Tals zu besuchen, ist für die meisten Familien unerschwinglich und bleibt weitgehend den Söhnen vorbehalten.

Die Lehrkräfte

15 privat finanzierte Lehrkräfte arbeiten an der High School und in den Collegeklassen, neben dreizehn öffentlich angestellten Lehrerinnen im Grund- und Mittelschulbereich (1.-8. Klasse).
Seit September 2014 unterrichtet eine weitere Lehrerin die Mittelschülerinnen (6.-8. Klasse) im Dorf Sinakir. Der Weg zur zentralen Mädchenschule in Datuchi verläuft über einige Kilometer entlang stark abrutschgefährdeter Steilhänge. Der tägliche Fußweg ist für die kleineren Mädchen unzumutbar. Und ein öffentliches Nahverkehrsangebot existiert innerhalb des Tals nicht.

Wir haben die Gehälter aller privat finanzierten Lehrkräfte ab Oktober 2015 wieder um einen einheitlichen Pauschalbetrag erhöht. Auch die Regierung hatte im Sommer eine Gehaltssteigerung für den staatlichen Schuldienst beschlossen.
Die privaten Lehrkräfte wechseln heute aufgrund von Versetzungen oder lukrativen Jobangeboten in Gilgit häufiger als früher. Es erfordert große Anstrengungen seitens der beiden einheimischen Koordinatoren, immer wieder qualifizierten Ersatz zu finden. Gleichzeitig äußern sich nicht wenige Eltern skeptisch mit Bezug auf die Unterrichtsqualität vieler staatlicher Lehrkräfte an den Mädchenschulen.
Die Monatsgehälter der aus Spenden finanzierten Lehrer an Schule und College liegen zwischen 60 und 120 Euro, je nach Qualifikation, Erfahrung und Unterrichtsfach. Die monatlichen Gehaltskosten betragen 1500 Euro.

4. Collegeklasse

Aufgrund der großen Nachfrage seitens der jungen Frauen im Tal wird seit September 2014 eine vierte Collegeklasse (4. Jahr oder 14. Schuljahr) angeboten. Ausreichend qualifizierte Lehrkräfte konnten angeworben werden. Allerdings wechseln auch sie verhältnismäßig häufig, weil sie an einen Ort außerhalb Bagrots versetzt werden. Alle sind vormittags hauptberuflich an staatlichen Bildungseinrichtungen tätig und unterrichten nachmittags die Collegeschülerinnen.

Der große Computerraum

Der von den Schülerinnen lange herbeigesehnte Computerraum ist seit einem Jahr in Betrieb. Eine junge Frau von außerhalb Bagrots unterrichtet vormittags als IT-Lehrkraft. Die Schülerinnen sind beim praktischen Unterricht mit Begeisterung dabei, weniger bei der Theorie, wie die Lehrerin uns gegenüber beklagt. Den Bau des zusätzlichen Klassenraums konnten wir vor zwei Jahren aus Spenden finanzieren.

Die technische Ausstattung wurde von der Schulbehörde im Rahmen eines Förderprojektes für wenige ausgewählte Schulen in der Provinz Gilgit-Baltistan gestellt. Ein Internetzugang besteht nicht, weil das Netz in Bagrot noch nicht ausreichend stark ausgebaut ist. Der Computerraum ist eine Ausnahmeerscheinung inmitten aller anderen Schulräume. Diese entsprechen dem Standard der staatlichen Schulen in der Region.

Das kleine Chemielabor

Inzwischen hat die Schule auch ein kleines Labor für den Chemie-, Biologie- und Physikunterricht. Bisher verlief der Chemieunterricht ausschließlich theoretisch, mangels Materialien. Das ändert sich nun. Wir haben veranlasst, dass die erforderlichen Chemikalien etc. aus Spenden angeschafft werden.
Trotzdem ist das Chemielabor in einem traurigen Zustand. Die beiden vorhandenen Metallspülbecken haben weder Wasseranschluss noch Abflussleitungen. Die sind in Klassenräumen staatlicher Schulen völlig unüblich, ebenso Steckdosen. Nur Licht haben die meisten. Der Chemielehrer nutzt Haushaltseimer und kann nun zumindest einfache Experimente durchführen.

Ein vielstimmiges Dankeschön und unzählige Grüße lassen die Schülerinnen und Studentinnen der Monika Girls High School und die Lehrkräfte ausrichten.

Mit herzlichen Grüßen aus Hamburg
Ihre und Eure Monika Schneid
Hamburg, im November 2015

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